THEN AND NOW

Freitag, 23. Dezember 2011

Schubladendenken

Es ist schon traurig: Da steht Weihnachten vor der Tür und in irgendwelchen Etats von Ministerien und Behörden ist noch Geld frei. Das muss unbedingt für irgendetwas ausgegeben werden, sonst ist die Budgetierung für nächstes Jahr futsch. Mensch, denkt sich der eine oder die andere, da könnten wir doch ein bisschen Kommunikation machen! Mal 'ne Kampagne oder so was ähnliches.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte wohl auch zu viel Geld über. Mit Hilfe einer maltesischen (!) Agentur überzieht sie die Citylights und 18/1-Werbeflächen mit Motiven, die einem wirklich die Schuhe ausziehen ob ihrer Naivität und Plumpheit. »Kein Mensch passt in eine Schublade« Ach wirklich? Das ist ja ganz neu! Und was sehen wir? Richtig, Schubladen! Und zwar so ganz alte, in die noch kleine Karteikarten reinpassen. Was will man uns denn damit sagen? Dass auf den Ämtern immer noch mit Karteikästen aus der Nazizeit gearbeitet wird? Dass in unseren Hirnen kleine Holzschublädchen angesammelt sind? Aua! So, und jetzt die Kategorien: Gender bzw. sexuelle Orientierung. Religion bzw. Weltanschauung. Behinderung. Alter. Und ethnische Herkunft. Mann, das ist wirklich ehrenwert! Was ist denn mit der Weltanschauung? Taliban, christlicher Fundamentalist, Satanist: kein Mensch passt in eine Schublade – nein, er sprengt sie vorher! Und den ganzen Laden mit!
Menschen brauchen Kategorien, um sich zu orientieren. Das gehört zur Ökonomie der Wahrnehmung. Antidiskriminierung – wer wollte widersprechen? Aber die Motive sind so dumm und einfältig wie die Menschen, die diskriminieren. Diese Motive sind typisch für die Art von Kampagnen, bei der man ein Motiv gefunden hat, dass halbwegs zu funktionieren scheint. Aber dann heißt es: Wir brauchen mehr Motive für verschiedene Kategorien. Klar, gerade bei Gender gibts ja die große Auswahl: Mann, Frau und irgendwas dazwischen. Drei Schubladen! Toll, Spitzenmotiv!
Und dann die technische Umsetzung: Ich habe schon lange keine so dilettantische und schlampig gemachte Bildbearbeitung gesehen wie auf diesen Plakaten von der Agentur Lighthouse & Ashley aus Malta, die vor allem Lobbying-Kommunikation für europäische Regierungsstellen, Regierungsunternehmen und regierungsnahe Organisationen macht. Von perspektivischer Verzerrung keine Ahnung. Für den Übergang von Schärfe zu Unschärfe kein Gefühl. Peinlich, inhaltlich und formal.


Montag, 7. November 2011

Good old Neon Signs

Die 1950er Jahre waren die goldene Zeit der Neonbeschriftung. Was zuerst als Neonröhre in schwungvolle Formen gegossen wurde, wich ab 1960 neuen Typografien, die kantiger, kastiger wurden. In manchen Provinzstädtchen kann man noch schöne Exemplare finden, die dem Lauf der Zeit standgehalten haben, bzw. zunächst aus Interesselosigkeit, später aus Geldmangel nicht ausgetauscht wurden. Sie sind Relikte aus einer Zeit, als der allmähliche Wohlstand dazu führte, dass sich auch kleinere Geschäfte Gedanken um eine speziell für sie angefertigte Geschäftsausstattung machten und sich Leuchtschriften bauen ließen, die dem Logoentwurf entsprachen. Das heißt, man arbeitete nicht mit vorgefertigten Buchstabenwürfeln, auf denen in Helvetica der Geschäftsname zusammengebaut wurde, sondern sie gaben Geld für ihre eigene Leuchtschrift aus und waren stolz darauf. Der Westen leuchtet schließlich. In Bad Wildbad habe ich einige Exemplare gefunden.


Hier haben wir ein sehr modernistisches Exemplar, konsequente Kleinschreibung bei gleichzeitiger extrem niedriger Mittellänge bzw. extremen Oberlängen in Kombination mit der breiten Ausrichtung der Buchstaben. Geradezu extravagant sind die kursiven ü-Striche.

Noch ein Beispiel für individuelle Extravaganz: Geometrisch-kursive Ausrichtung mit einer Initiale, die drei Lettern überragt. Das finale »R« mutet allerdings etwas grichisch an und könnte der "Taverne Heraklion" entstammen.

Hier ein typischer Fall für die Mischung von vorgefertigten Neon-Buchstaben in einer Groteskschrift, nur die vier Lettern des Familiennamens hat man in einem eigenen Typeface fertigen lassen, das einen Schreibschriftcharakter mit der Moderne verbinden soll.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Planeten

Lars von Triers »Melancholia« ist ein ganz großer Film. Die Vorstellung, die Welt, unsere Welt könne von einem riesigen Planeten zerstört werden, wird in einem Kammerspiel erzählt, in dem lange offen bleibt, ob es sich um die Visionen und Phantasmagorien einer Depressiven handelt oder aber um Realität. Vor allem aber erzählt Lars von Trier in Bildern – und obwohl es banal klingt: das war einmal der Sinn von Kino. Natürlich basiert jeder Film auf Bildern, aber Dialoge, Erzählstränge, Plots, Schnitte und Postproduction machen viele Filme zu Sprachmonstern mit Bildspur. Darauf vertrauen, dass man mit Bildern erzählen kann, langsam und ruhig, tun nur noch wenige. Auch deshalb ist »Melancholia« ein großartiger Film.
L'eclisse, M. Antonioni, 1962. Gleich wird der Titel »Fine«, Ende eingeblendet.

Ich habe mich durch Melancholia an einen anderen Film erinnert, an Michelangelo Antonionis »L'eclisse« von 1962. Es ist ein radikaler Film, der viele Zuschauer ratlos lässt (schon bei seiner Uraufführung), weil es lange Passagen nicht nur ohne Text, sondern auch ohne Darsteller gibt. Die ca. 20-minütige Schlusssequenz zeigt die urbane Mondlandschaft einer Vorstadt in aneinander gereihten bewegten Fotos: Die Kamera bewegt sich kaum, manchmal fährt ein Bus durchs Bild oder ein Einspänner. Es ist Sonnenfinsternis, das Licht gespenstisch, das weiche Schwarzweiß des Films tut sein übriges. Gezeigt wird die Straßenecke, an der sich die Protagonisten des Films verabredet hatten, aber beide nicht erschienen:Die Kamera ist wie ein Passant, der an dieser Ecke steht und darauf wartet, dass etwas geschieht. Aber es geschieht nichts, außer, dass die anderen Menschen ihr Leben leben. Und so wie die Liebelei der Protagonisten vorbei ist, ist der Film vorbei, aber man könnte meinen, mit der Welt sei es auch vorbei, wie bei »Melancholia«.

L'eclisse von M. Antonioni, 1962. Die Strassenkreuzung

L'eclisse, M. Antonioni, 1962. Das römische Neubaugebiet

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Week-end, Teil 2


Und hier noch eine berühmte Filmszene aus Godards Week-end, zeitgenössisch drucktechnisch eingefärbt in Magenta. Dem Autoliebhaber tun die geschrotteten Wagen leid, hier ein Facel Vega Facellia und ein Alfa Romeo 2600. Aber es müssen nch ganz andere Wagen sterben, ein Matra, ein Triumph TR4 etc.


Week-end

Kurz vorm Wochenende habe ich noch folgendes gefunden: Einen 16-seitigen Folder für den Film »Week-end« von 1968. Gibt es heute noch sorgfältig gestaltete und mit Hingabe gemachte Presseheftchen zu aktuellen Kinofilmen? Als »Week-end« von Jean-Luc Godard in die Kinos kam, gab man sich jedenfalls Mühe – der Regisseur hatte sich ja schließlich auch Mühe gegeben.



Den Plakatentwurf zeichnete der Grafiker Hans Hillmann, der für seine reduzierten Schwarzweiß-Grafiken berühmt war (zu den bekanntesten Entwürfen zählt das Plakat für »Panzerkreuzer Potemkin«). In Ermangelung einer vernünftigen Buchstabenverfremdungstechnik zeichnete er die schwabbeligen Dinger in Handarbeit.
Auch die Rückseite des Folders ist von Hillmann gestaltet – das Motiv erinnert an den berühmten Rolling Stones-Mund mit herausgestreckter Zunge, aber Hillmanns Entwurf ist vier Jahre älter.


Das Problem des Minigolfs

Da ich kürzlich meine Bibliothek entschlackt habe, fielen mir einige Bücher in die Hände, die ich so lange nicht in Händen hatte, dass ich fast vergessen hatte, sie zu besitzen. Unter anderem ein schmaler Katalog von Werner Büttner mit dem schönen Ausstellungstitel »Die Probleme des Minigolfs in der europäischen Malerei«. Darin finden sich einige Bilder, ganz im Stil der „wilden Malerei“ bzw. „neuen Figuration“ von Minigolfbahnen.
 Das war alles ganz lustig, aber das Problem war schon damals, dass sich die Kunst auf die Kunst bezog und auf sonst nichts. Also ein Code für Eingeweihte, denn schlampig hingemalte Minigolfbahnen reissen den, der unvoreingenommen davor steht, nicht vom Hocker. Von heute aus betrachtet scheint es seltsam, dass sich damals die »alte Malerei« von der »neuen« provozieren ließ – als wäre es um etwas gegangen jenseits der Vorherrschaft im Galeriebetrieb.

Sticky Messages



















Das ist der amerikanische Stock Car-Fahrer Glen Guthrie mit seinem Ford Cyclone. Man tendiert dazu - und fragt sich nicht groß - die Aufkleber auf Rennwagen als natürlich, als selbstverständlich hin- und wahrzunehmen. Sie erzählen jedoch eine Menge: Die Startnummer, die häufig etwas über die Position oder Qualifikation des Fahrers aussagt. Diverse Logos von Schmiermittel- und Treibstofffirmen, Reifenherstellern, Stoßdämpfer oder Elektriklieferanten, kleine oder große Sponsoren. Alles zusammen bildet eine Erzählung, die verrät, wo jemand herkommt, wo er gerade ist und hin will.
Was wäre, wenn man diese einzelnen Aufkleber wie einen zusammenhängenden Text begreifen würde, was man als Fan unbewusst auch tut, ohne ihn hintergründig zu lesen? Diese Frage hat sich der französische Künstler Marcus Kreiss gestellt und mit dem französischen Schriftsteller Marcel Proust beantwortet, in dem er das »Marcel Proust Racing Team« gegründet hat: http://www.marcelproustracingteam.com/index.html
Den Satz Longtemps, je me suis couché de bonne heure. Parfois, à peine ma bougie éteinte, mes yeux se fermaient si vite que je n'avais pas le temps de me dire: Je m'endors" (Lange ging ich früh zu Bett. Kaum dass die Kerze erloschen war, schlossen sich meine Augen so schnell, das mir keine Zeit blieb mir zu sagen: ich schlafe.) hat der Künstler auf viele Sticker verteilt, die wie Sponsorensticker aussehen und dem Dodge Dart den Look eines Stock Car geben. Great.